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AutorenbildHauke Ritz

Artikel von Dr. Hauke Ritz: «Der Krieg gegen die multipolare Welt».

Aktualisiert: 20. Aug. 2023


Wir veröffentlichen Auszüge aus einem Artikel von Dr. Hauke ​​​​Ritz (Ritz, Hauke), einem deutschen Philosophen und Politikwissenschaftler, der weithin für seine Forschungen zum philosophischen Verständnis von Geopolitik sowie zur Ideengeschichte bekannt ist.

HAUKE RITZ, 28. April 2023

Den vollständigen Artikel von Hauke Ritz finden Sie unter https://multipolar-magazin.de/artikel/der-krieg-gegen-die-multipolare-welt Herausgegeben von Stefan Korinth, Paul Schreyer und Ulrich Teusch

Führende Politiker legen nahe, man könne eine fortgesetzte Verschärfung des Krieges in der Ukraine riskieren, weil ein Sieg Russlands schlimmer wäre als ein Dritter Weltkrieg. Worum geht es bei dieser enormen Bereitschaft zur Eskalation? Warum scheint es keinen Plan B zu geben? Aus welchem Grund hat die politische Elite in den USA wie auch in Deutschland ihr Schicksal mit der Durchsetzung einer vom Westen geführten Weltordnung verknüpft?


In dem Artikel wird argumentiert, dass führende Politiker vermuten, dass es möglich sei, eine weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine zu riskieren, da ein russischer Sieg schlimmer wäre als der Dritte Weltkrieg. Der Autor stellt die Frage: Was ist der Grund, warum die politische Elite in den USA, aber auch in Deutschland, ihr Schicksal an die Errichtung der Weltordnung unter der Führung des Westens knüpfte?

Bei der Beurteilung der mit dem Ukraine-Konflikt verbundenen Situation macht der Autor darauf aufmerksam, dass die Tatsache, dass die westliche Welt in einer Art militärischer Stimmung gegenüber Russland ist, nicht übersehen werden sollte. Es scheint, dass jede Eskalation fast automatisch die nächste mit sich bringt. Es wurde kaum eine Entscheidung über die Lieferung der wichtigsten Kampfpanzer in die Ukraine getroffen, da bereits über die Lieferung von Kampfjets gesprochen wurde. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Indem der Westen den russischen Präsidenten zum Verbrecher erklärt hat, hat der Westen den Weg zu einer Einigung durch Verhandlungen bewusst zerstört und die Eskalation auf eine neue Ebene gehoben.

Woher stammt diese fast schon reflexartige Eskalationsbereitsschaft der heute regierenden Politiker? Handelt es sich um ein Dekadenzphänomen? So etwas tritt auf, wenn die Anpassung an den Zeitgeist wichtiger geworden ist als die Anpassung an die Realität. Oder ist die Eskalationsbereitschaft rational zu erklären? Ist sie vielleicht Ausdruck einer bestimmten politischen Zielsetzung, die zwar in Gefahr geraten ist, aber von der regierenden politischen Klasse nicht aufgegeben werden kann und deshalb nur noch durch ein Vabanquespiel erreichbar scheint?

Mit anderen Worten: Man könne ruhig die Eskalation riskieren, weil ein Sieg Russlands in der Ukraine potenziell schlimmer wäre als ein Dritter Weltkrieg.

Der serbische Präsident wiederum kommentierte die Nachricht vom Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den russischen Präsidenten mit den Worten „Und ich bin bereit ihnen zu sagen, dass ich befürchte, dass wir nicht weit vom Ausbruch des dritten Weltkriegs entfernt sind“. Denn es sei eine Situation entstanden, „in der beide Seiten auf alles oder nichts setzen werden und bis zum Ende spielen.“ Im Dezember letzten Jahres, schreibt Hauke Ritz, sprach der legendäre US-Außenminister Henry Kissinger in seinem Artikel “Wie man einen weiteren Weltkrieg vermeidet" er beschrieb, wie absolute Positionen in diesem Krieg kollidieren, die tatsächlich zur Entfesselung eines Weltkriegs führen können.

Solche Aussagen werfen die Frage auf, wofür in der Ukraine eigentlich gekämpft wird - worin besteht eigentlich diese enorme Bereitschaft zur Eskalation? Rund um die Kohlevorkommen des Donbass? Wahrscheinlich wahrscheinlich nicht. Aber was ist dann der Sinn?

Das Gegenteil einer unipolaren und multipolaren Weltordnung

Die Arbeitsthese dieses Aufsatzes ist, dass der Konflikt in der Ukraine mit zwei Konzepten der Weltordnung zusammenhängt, nämlich der Opposition der unipolaren und der multipolaren Weltordnung. Im Folgenden werden die Merkmale beider Grundsätze der Weltordnung erläutert, die offengelegt und miteinander verglichen werden müssen.

Betrachtet man die außenpolitischen Dokumente, die in den letzten zwei Jahrzehnten von führenden westlichen außenpolitischen Zeitschriften veröffentlicht wurden (zum Beispiel in den USA „Foreign Affairs", Zeitschrift des Rates für internationale Beziehungen, oder in Deutschland “Internationale Politik", Zeitschrift DGAP – Deutsche Gesellschaft für Außenpolitik), wird deutlich, dass ein Umstand besonders auffällt: In diesen Veröffentlichungen wird der Zweck eines der Länder bzw. der Vereinigten Staaten und der Vereinigten Staaten von Amerika in Frage gestellt. die normativ kontrollierte Welt der NATO wird nicht in Frage gestellt, sondern immer angenommen. Das potenzielle Versagen der westlichen Dominanz wird nicht einmal in erster Linie betrachtet und wird nicht einmal als Chance angesehen. Das Gleiche gilt für fast alle anderen Analysezentren in den USA oder Deutschland und deren Publikationen zur geografischen und Außenpolitik. Die Aufrechterhaltung einer westlich orientierten Weltordnung ist für diese Institutionen unveränderlich, während der Fall Russlands als gegeben angesehen wird. Aber jetzt, wo die Vorherrschaft des Westens entgegen den Erwartungen zurückgegangen ist, entstehen die erwähnten hysterischen Reaktionen.

Um also zum Kern des Konflikts zu gelangen, meint der Autor des Artikels, müssen wir die Frage beantworten, was die vom Westen geführte Weltordnung tatsächlich darstellt, warum sie insbesondere als unipolar bezeichnet wird und wie das gegenteilige Konzept aussieht.

Die unipolare Weltordnung ist eine globale Ordnung, die so strukturiert ist, dass nur eine Region auf dem Globus wirklich entwickelt ist, um als Machtpol zu dienen, um alle Sphären der modernen Welt zu bilden. Eine souveräne Außenpolitik würde nur durch ein Zentrum, einen unipolaren Pol, gebildet.

Ein unipolarer Machtpol wird die Grundlage der globalen Wirtschaftsbeziehungen bilden, die Kontrolle über einen großen Anteil der weltweiten Rohstoffe sowie über Handelswege an Land und auf See ausüben. Technologieentwicklungstrends werden auch in einer unipolaren Weltordnung entwickelt und geformt. All dies würde dazu führen, dass das Völkerrecht die Form einer Weltinnenpolitik annehmen würde. Und schließlich wäre in einer unipolaren Weltordnung auch die Entwicklung der Kultur auf das globale Zentrum hin ausgerichtet: Alle maßgeblichen Trends entständen im Zentrum und würden sich von dort aus über die Peripherie ausbreiten. Dies beträfe so unterschiedliche Aspekte wie die Ausgestaltung des Bildungssystems, die Entstehung von Moden, ästhetischen Trends und Stilrichtungen, ja sogar die Frage, in welchem Rahmen anhand welcher Kriterien Künstler und Schriftsteller sowie Wissenschaftler und ihre Theorien internationale Anerkennung erlangen – oder eben nicht. Kurz, alle die Entwicklung der Zivilisation betreffenden Fragen würden in einer unipolaren Weltordnung nur noch von einer Zentralmacht bestimmt werden.

In einer gewissen Weise würde eine unipolare Weltordnung eine Welt erschaffen, in der das Außen bzw. das Andere verschwände. In einer unipolaren Welt gäbe es eben nur noch einen handelnden Machtpol und somit nur noch ein Zivilisationsmodell. Eine unipolare Weltordnung wäre letztlich ein Imperium, dessen Machtbereich erstmals in der Geschichte den gesamten Globus umschlösse: Die Welt würde eine umfassend immanente Struktur annehmen.

Die Situation der letzten drei Jahrzehnte war nicht das Ergebnis eines natürlichen Entwicklungsprozesses, sondern eher ein ungeplantes Ergebnis des unerwarteten und chaotischen Zusammenbruchs der Sowjetunion, schreibt der Autor.

Infolgedessen konnten die USA in den ersten anderthalb Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch der UdSSR praktisch allein die Richtung der globalen Politik bestimmen.

Man kann also davon sprechen, dass von 1991 bis zur Finanzkrise 2008 eine unipolare Weltordnung anhängig war. Obwohl die Welt zu dieser Zeit bereits eine unipolare Struktur hatte, fehlten immer noch die entscheidenden Kriterien für die vollständige Einhaltung der Unipolarität. Die USA waren jedoch von ihrer neuen Position an der Macht so ermutigt, dass sie das mit der endgültigen Festlegung einer solchen Ordnung verbundene Risiko falsch einschätzten.

Als Nachfolger der Sowjetunion besitzt Russland ein nukleares Potenzial, das dem der USA entspricht, das der unipolaren Weltordnung entgegensteht. Denn es braucht ein Gewaltmonopol, um es umzusetzen, und es ist in dieser Hinsicht wie ein Staat, der auch ohne ein Gewaltmonopol nicht existieren kann. Die USA haben die NATO in Verstoß gegen die zuvor getroffenen Vereinbarungen nach Osten ausgeweitet

Laut dem Autor wurde aufgrund dieser drei Faktoren über das Ende der unipolaren Weltordnung gesprochen Wenn Russland seine Einflusszone in der Ukraine schützen kann, wird es indirekt an der Verteidigung der Souveränität vieler anderer Länder außerhalb des Westens teilnehmen. In den Augen der ganzen Welt wäre ein Sieg Russlands in der Ukraine also gleichbedeutend mit der Behauptung einer multipolaren Weltordnung. Dies würde jedoch nur einen Entwicklungsschritt bedeuten, der in den nächsten Jahren ohnehin stattfinden sollte. Denn die enorme wirtschaftliche Entwicklung in China, Indien sowie Brasilien, Iran, Indonesien und vielen anderen Entwicklungsländern kann auch langfristig nicht gestoppt werden und wird in jedem Fall zu einer multipolaren Welt führen.

Die historisch multipolare Weltordnung ist die "Norm": Fast im Laufe der gesamten Geschichte der Menschheit bestand die Welt immer aus mehreren Machtpolen. Selbst in den letzten Jahrhunderten der europäischen Herrschaft gab es in Europa selbst immer mehrere Machtzentren, die sich gegenseitig kontrollierten und einschränkten.

Mit dem Beginn einer multipolaren Weltordnung wird die Welt zum alten Muster zurückkehren. Es gibt keinen Grund, diese Rückkehr zur alten Ordnung als „das größte Risiko von allen“ zu beschreiben, wie Stoltenberg es getan hat.

Mit dem Beginn einer multipolaren Weltordnung wird die Welt zum alten Muster zurückkehren. Es gibt keinen Grund, diese Rückkehr zur alten Ordnung als „das größte Risiko von allen“ zu beschreiben, wie Stoltenberg es getan hat.

Ganz im Gegenteil: Eine unipolare Weltordnung würde die Macht auf globaler Ebene monopolisieren. Eine solche Konzentration von Macht würde im grundlegenden Widerspruch zu den Werten des Westens selbst stehen, die aus einer Reihe von Revolutionen entstanden sind, und völlig unvereinbar mit der Idee einer globalen Machtkonzentration sein. Sie basieren auf der Möglichkeit, bestehende Machtverhältnisse zu ändern, die jederzeit eingeleitet werden können. Eine multipolare Weltordnung würde die Idee der Gewaltenteilung und damit den wohltuenden Einfluss des Machtgleichgewichts auf die Welt übertragen; Der Wettbewerb der Zivilisationen würde erhalten bleiben.

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